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4. November 2025

Hinter Völlegefühl steckte Depression: Erst in der Psychiatrie ging es Gertrude Schmidt besser

Vor allem Ältere gehen oft mit körperlichen Beschwerden zum Arzt, obwohl eine Depression dahintersteckt. Gertrude Schmidt wurde sogar operiert, aber besser ging es ihr danach nicht. Erst in der psychiatrischen Klinik in Haselünne verstand die 79-Jährige, warum sie lange kaum einen Bissen herunterbekam

Dass sie unter einer psychischen Erkrankung litt, wäre Gertrude Schmidt wohl niemals in den Sinn gekommen. Denn ihre Beschwerden waren für sie eindeutig physischer Natur. Im Juni fing es an: „Ich konnte auf einmal nicht mehr essen“, erzählt die 79-Jährige aus dem Emsland.

Mehr als eine halbe Scheibe Brot morgens und abends und mittags zwei Esslöffel Gemüse habe sie nicht runterbekommen. Und ihr fehlte nicht nur der Appetit. Sie plagte ein „Völlegefühl“, wie sie es beschreibt, das es ihr unmöglich machte, normal zu essen. „Das hat sich so langsam angebahnt.“

Permanentes Völlegefühl hielt sie davon ab, normal zu essen 

Gertrude Schmidt ist nicht ihr richtiger Name. Um ihre Privatsphäre zu schützen, will sie ihren echten Namen hier nicht lesen. Sie habe es mit Kamillentee versucht oder Mineralwasser getrunken, um aufstoßen zu müssen und dadurch das Völlegefühl „zu lösen“, erklärt sie. Geholfen habe das aber nur für einen kurzen Moment.

Also suchten ihre Ärzte nach einer Ursache für dieses Gefühl. Im Krankenhaus bekam sie eine Magen- und eine Darmspiegelung, bei denen tatsächlich etwas entdeckt wurde: Gallensteine, die eine Vielzahl von Beschwerden verursachen können. Diese wurden Gertrude Schmidt bei einer Operation Anfang Juli entfernt. Aber auch nach der OP und drei Tagen im Krankenhaus sei das Völlegefühl unverändert da gewesen, erzählt die 79-Jährige. Physisch sei sie vollkommen gesund, habe ihr ein Arzt damals gesagt.

Gertrude Schmidt verlor 15 Kilo in nur wenigen Wochen

Aber es wurde nicht besser. Nach der OP nahm sie in drei Wochen 15 Kilo ab, fühlte sich schwach und litt unter Schwindel. „Von Woche zu Woche ließ die Kraft nach“, sagt Schmidt. Hunger verspürte sie trotzdem nicht. Stattdessen begann sie sogar, sich vor den Mahlzeiten zu fürchten: davor, sich an den Tisch setzen zu müssen und zu wissen, dass sie eigentlich etwas essen musste, aber es nicht konnte. Dann wurde Gertrude Schmidt an die Klinik für Psychosomatische Medizin am St. Vinzenz-Hospital in Haselünne verwiesen, in der unter anderem Patienten mit Essstörungen behandelt werden. Weil nicht sofort ein Platz frei war, musste sie sich nach einigen Tagen erneut dort melden - und geriet dabei an eine Mitarbeiterin, die ihr ungefragt einen Rat gab: „Sie müssen zur Psychiatrie“, habe diese am Telefon gesagt.

„Das war mein großes Glück“, betont die 79-Jährige. Eine ihr nahestehende Freundin habe ihr schon Wochen zuvor geraten, sich an die Haselünner Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie zu wenden. Davon habe sie allerdings nichts wissen wollen, gibt Schmidt zu. Nach dem Telefonat rief ihr Mann sofort in der Psychiatrie an und schilderte ihre Situation. „Ich hatte nicht mehr die Kraft“, erklärt Gertrude Schmidt. Direkt am nächsten Morgen wurde sie stationär aufgenommen, an einem Freitag im August - und fühlte sich dort sofort gut aufgehoben.

Am dritten Tag auf Station in Haselünne kam der Appetit zurück

Anfangs erhielt sie ein Medikament zur Beruhigung und Schlafmittel. „Ich bin zur Ruhe gekommen“, sagt die 79- Jährige. „Meine Ängste verschwanden langsam.“ Zwei Tage brauchte sie, um sich einzugewöhnen. „Am dritten Tag bekam ich Appetit“, erzählt Schmidt. „Ich war überglücklich.“

Insgesamt sechs Wochen verbrachte die Emsländerin in der Haselünner Klinik - und bediente sich dort auch mal spätabends am Kühlschrank im Gemeinschaftsraum, wenn sie wach wurde und Lust auf Süßigkeiten oder einen Joghurt bekam, beichtet die 79-Jährige. Sie habe regelrecht nachgeholt, was sie in den Wochen und Monaten zuvor auf dem Teller hatte liegen lassen. 

Die Veränderung blieb auch ihrer Bezugspflegekraft nicht verborgen: „Bei Frau Schmidt kann man wieder lachen“, habe diese gesagt. „Meine Fröhlichkeit kam zurück“, bestätigt Gertrude Schmidt. Mehrmals in der Woche hatte sie Gesprächstherapie, ging viel spazieren und gönnte sich Ruhe. Und sie bekam endlich eine Diagnose: Sie hatte unter einer schweren Depression gelitten.

Inzwischen weiß die 79-Jährige, was die Ursache sein könnte

Mittlerweile weiß Gertrude Schmidt, was diese Depression ausgelöst haben könnte. Zum einen sind da mehrere Schicksalsschläge, die sie in kurzer Zeit erlebt und die sie schwer belasteten. Zum anderen sei sie eine „Ja-Sagerin“ mit einem großen Harmoniebedürfnis, wie sie es formuliert. Familiäre Spannungen hätten ihr in den vergangenen Monaten viel Kraft gekostet. „Das ist mir alles über den Kopf gewachsen“, glaubt die 79-Jährige.

Sie habe nun gelernt, ihre eigenen Bedürfnisse mehr in den Fokus zu rücken. „Die habe ich immer hintangestellt.“ Und sie hat in der Klinik und auch nach ihrer Entlassung Anfang Oktober insgesamt sechs Kilo zugenommen. Demnächst wolle sie auch wieder Sport machen, zum Beispiel Yoga, und vielleicht einen Achtsamkeits- oder Entspannungskurs, sagt sie.

Medikamente werden in den kommenden Monaten langsam abgesetzt

Bisher nimmt die Emsländerin weiter das Antidepressivum, das sie bekommen hat, nachdem die Beruhigungs- und Schlafmittel abgesetzt wurden. Zusätzlich erhält sie ein Antipsychotikum, das gegen starke Ängste helfen soll - auch wenn Gertrude Schmidt zu keinem Zeitpunkt psychotisch war, also etwa unter Wahnvorstellungen litt. Beide Präparate werden nun ebenfalls langsam abgesetzt, das Antidepressivum allerdings erst nach einem Jahr, erklärt Dr. Gregory Hecht, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Haselünne.

Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie erlebt in seinem Berufsalltag nicht selten, dass gerade ältere Patienten, die zu ihm kommen, eine regelrechte Odyssee von Arztbesuchen hinter sich haben, weil sie eher mit körperlichen Beschwerden zum Arzt gehen. Gertrud Schmidt hätte auch im Nachhinein selbst nicht vermutet, dass auch bei ihr eine psychische Erkrankung dahintersteckt. Aber sie hat nun eins verstanden: „Wenn die Seele krank ist, dann reagiert der Körper“. Die 79-Jährige kann gar nicht oft genug betonen, wie dankbar sie den Ärzten und Pflegekräften der Psychiatrie in Haselünne ist. Ihr sei liebevoll geholfen worden - und sie rät auch anderen Betroffenen, sich voll Vertrauen an die Klinik, die zum St. Vinzenz-Hospital gehört, zu wenden.

Quelle: NOZ, von Jana Schepers | 04.11.2025, 09:23 Uhr Aktuelle Nachrichten aus Haselünne

 

Weil sie nicht essen konnte, wurde Gertrude Schmidt immer schwächer - bis sie in die psychiatrisiche Klinik in Haselünne kam. SYMBOLFOTO: IMAGO IMAGES/MASKOT